Knochen und Geweihprodukte
Knochen und Geweih, die am meisten verbreiteten Rohstoffe der Vorgeschichte, besitzen hervorragende chemische und physische Eigenschaften. Gegenstände hergestellt aus Knochen und Geweih waren hart, aber gleichzeitig elastisch. Sie waren ausdauernd und über lange Zeiträume verwendbar, darum wurden sie produziert. Die Herstellung solcher Werkeuge war außerdem verhältnismässig einfach und erforderte keine aufwendigen Verfahren.
Knochen- und Geweihwerkzeuge spielten eine grosse Rolle in Leben und Wirtschaft der Menschen des Neolithikums und der Frühbronzezeit. Es ist zu bemerken, dass die Mehrzahl dieser Gegenstände aus Menschenhand bis in unsere Zeiten aufgrund von ungünstigen Vorkommensbedingungen nicht erhalten geblieben ist. Die ungünstigen Tiefenbedingungen, in welchen die Artefakte sich ablagerten, verursache eine vollständige Zersetzung ihrer Struktur. Die oben erwähnten organischen Rohstoffe wurden zur Produktion verschiedenartiger Werkzeuge, Waffen und auch Schmuck sowie anderer Gegenstände des täglichen Gebrauchs benutzt. Die zu ihrer Produktion am häufigsten verwendeten Materialien waren lange und flache Knochen; besonders Rippenknochen.
Im Unterschied zum Knochen- und Geweihhandwerk der Epoche des Neolithikums, wo die Werkzeuge zu einem grossen Prozentsatz aus Knochen von gehaltenen Tieren hergestellt wurden, basierte die Produktion der Frühbronzezeit haupsächlich auf Knochen von Wildtieren. Dieses Spezifikum im Verhalten der Menschen der Frühbronzezeit wurde wahrscheinlich durch die höhere mechanische Widerstandsfähigkeit der Knochen von wilden Säugetieren im Vergleich zu den Knochen von gehaltenen Tieren verursacht. Die niedrigere Qualität der Knochen von gehaltenen Tieren wurde durch die seit dem Neolithikum fortschreitende Domestizierung verursacht.
Der prähistorische Erfinder wählte genau bestimmte Knochen zur Herstellung seiner Werkzeuge aus. Rippenknochen beispielsweise wurden zur Produktion von Glätteisen, Schlichthobeln sowie Nadeln oder Schabeisen benutzt; Mittelfuss- und Mittelhandknochen hingegen zur Herstellung von Ahlen oder Pfriemen. Aus Geweihen wurden Grabewerkzeuge bzw. Schaufeln und Hacken sowie Kleingeräte, aber auch Schmuck geformt.
Ein Geweihfragment mit sichtbaren Schneidespuren (TBK)
Einkerbungen
Ein Bohrloch
Öffnung - Funktion nicht bekannt; daneben Spuren einer Bohrung
Eine nicht ganz fertig gestellte Bohrung mit weiteren Bohrspuren
Schnitzarbeiten
Spuren von Arbeiten mit Flintsteinwerkzeug - Schneiden
Ebenfalls Spuren von Schneidearbeiten
Während der Herstellung der Arbeitsgeräte aus Knochen und Geweih wurden viele verschiedene Arbeitsstufen darunter Knacken, Brechen, Meisseln, Bohren, Schneiden, Hobeln und Schleifen durchgeführt; manchmal aber auch eine chemische Aufweichung des Rohstoffes (ganzheitlich oder teilweise) vorgenommen. Dieses Verfahren bestand im Einweichen des Halbrohstoffs in Wasser oder Urin für eine bestimmte Zeitspanne, die von dem konkreten Bedürfnis des Produzenten abhing. Dieser Prozess erlaubte durch eine starke Aufweichung des jeweiligen Gegenstandes eine spätere Bearbeitung mit Werkzeugen, war jedoch auch umkehrbar, denn nach Abspülen mit Wasser erlangte der Gegenstand schnell seine ursprüngliche Härte zurück.
Die lang andauernde Benutzung verursachte eine leichte Beschädigung der Wände und der Öffnungen
Die Werkzeuge zur Knochen- und Geweihbearbeitung wurden aus Flintstein, gewöhnlichem Stein, Knochen oder Kupfer hergestellt. Der Halbrohstoff wurde mit Axt, Meissel, Stichel oder einem Span mit Zacken halbiert. Löcher wurden mit Hilfe von knöchernen und kupfernen Meißeln und Sticheln hinzugefügt. Längliche Furchen wurden mit Ritzern eingeritzt oder durch mit Zähnen besetzten sägeähnlichen Werkzeugen hineingesägt. Zum Schleifen der bearbeiteten Gegenstände wurden sogenannte Schleif- oder Wetzsteine verwendet.
Der letzte Arbeitsschritt bestand im Polieren des jeweiligen Gegenstandes mit Fell unter Zugabe von Asche, feinkörnigem Sand und Fett. Man muss anmerken, dass die auf einigen Artefakten sichtbaren Ordinationen einen Hinweis auf die Absicht der Nutzung, zum Beispiel als Pfriem, Ahle, Nadel oder die Einfassung einer Sichel, gestatten. Die Ornamentierungen wurden mit Hilfe von Klingen aus Flintstein hinzugefügt. Alle Knochen- und Geweihartefakte kann man in drei Hauptkategorien zusammenfassen: Werkzeuge, Waffen und Schmuck. Zur ersten Kategorie gehören vor allem folgende Werkzeuge: Hacken und Hauen sowie andere Hackwerkzeuge, Grabwerkzeuge, Äxte, Schleifer, Kratzer, Hammer, Meißel, Ahle, Pfrieme, Nadeln und Kratzer.
- Hacken - wurden aus Hirschgeweih hergestellt; ihren Griff stellt ein Hauptgeweihstück dar; im Abstand von 20-30 cm vom Ansatz abgezogen, als Arbeitsteil dient eine Verzweigung, die aus dem Hauptstamm herausgewachsen ist; die Hacken dienten hauptsächlich zum Auflockern;
- Hackwerkzeuge - in den meisten Fällen wurden diese aus Verzweigungen des Geweihs gewonnen, die man vorher gleich bei der ersten Verästelung vom Rest abgeschnitten hatte; diese Werkzeuge dienten zum Auflockern des Bodens, zur Pflanzung von Hülsenfrüchten und anderen ähnlichen Arbeiten;
- Grabwerkzeuge - hergestellt aus leicht gebogenen, aber auch geraden Verästelungen von Hirschgeweihkronen (16-28 cm), diese wurden verwendet, um Löcher für das Pflanzen von Hülsenfrüchten zu setzten;
Grabwerkzeuge aus einem Fragment von Hirschgeweih (SK)
- Äxte - gefertigt aus geschliffenen Hirschgeweihrosen, man hält diese für den Prototyp von Steinäxten;
- Schleifer - hergestellt wurden diese aus verschiedenartigen Knochen, sie dienten zum Abschleifen und Polieren von Keramik sowie zur Trennung von Haut und Fell beim Gerbungsprozess ;
Knöcherne Schleifer (TBK)
- Kratzer - in der Mehrzahl der Fälle aus Rippenknochen des Hirsches hergestellt, gebraucht wurden Kratzer bei den letzten Arbeitsschritten der Keramikbearbeitung (Schleifen, Polieren) sowie zum Gerben oder Abschälen;
Knochenkratzer (TBK)
- Hammer - ausschließlich aus Hirschgeweih gefertigt, ein Multifunktionswerkzeug;
- Meißel - angefertigt aus Fragmenten von langen Knochen sowie (sporadisch anzutreffen) aus Geweih, verwendet wurden diese wiederum zu anderen Holz-, Knochen und Geweiharbeiten, beispielsweise um Löcher oder Rillen und Ähnliches zu schlagen;
Knochenmeißel des täglichen Gebrauchs (TBK)
- Pfriem - diese bestanden zum Großteil aus Mittelfuß- oder Mittelhandknochen vom Schaf, Reh oder Hirsch; Pfrieme wurden hauptsächlich benutzt um Löcher in Fell oder Tierhaut einzubringen;
Fragment einer tierischen Rippe und Pfrieme aus Rippen (TBK)
Vorder- und Rückseite von Pfriemen aus Tierrippen
Pfrieme aus Knochen des oberen Teils eines Schafbeins (TBK)
Die Bevölkerung der TBK stellte Pfrieme aus unterschiedlichen Rohstoffen her
- Nadeln - nützlich zum Vernähen von Fell, Haut und anderen Materialien;
- kleinere Nadeln - meistens gemacht aus langen Knochen- und Rippenfragmenten, sie könnten zum Zusammenklammern von Haaren und Kleidung gedient haben;
- Stichel - ähnlich wie Pfrieme (der Unterschied ist die Ausgestaltung der Klinge – breit, steil geschnitten und mit einem stumpfen Ende), diese Kratzer wurden bei der Herstellung von verschiedenartigen Vertiefungen und Kerben in organischem Material, aber auch in Keramik verwendet.
Zu der zweiten Kategorie kann man Dolche, Wurfkeile und Speerspitzen zählen.
- Dolche - hergestellt aus Knochen;
- Wurfkeile - hergestellt aus Knochen und Geweih;
- Speerspitzen - hergestellt aus Knochen und Geweih.
Knöcherne Speerspitzen (TBK)
Die dritte Kategorie ist eng mit der Religion und der kulturellen Sphäre sowie dem gewöhnlichen Alltagsleben der urzeitlichen Menschen verbunden. In diese Kategorie gehören verschiedenartige Amulette, Anhänger und Talismane, beispielsweise aus Wolfsklauen oder Reißzähnen von Wildschweinen, sowie andere Rohstoffe tierischer Herkunft.
Ein reich ornamentiertes Knochenamulett (SK)
Ein gebranntes Fragment eines reich geschmückten Knochenamuletts (SK)
Ein Amulett? Ein Kalender? Eine Zählvorrichtung? - Fragment einer eingerizten tierischen Rippe (TBK)
Verzierter Knochenanhänger (SK)
Durchbohrte Zähne eines Hundes oder eines Wolfes (SK)
Knochenschnalle für die Haare – ausgeschnittenes und eingekerbtes Stück eines langen Knochens und ein halbierter Reißzahn eines wilden Tieres (SK)
Nicht fertig gestellter Anhänger/Spielzeug? Wahrscheinlich stellt er eine Axt dar (TBK)
Eine genaue Beschreibung der Funktion der Mehrzahl der Knochen- und Geweihgegenstände ist nicht möglich, da sie zu vielen verschiedenen Zwecken als sogenannte "Universalwerkzeuge" dienten. So könnte ein Pfriem beispielsweise benutzt worden sein, um in Fell oder Tierhaut Löcher zu stanzen, aber eben auch, um Keramik zu verzieren. Kratzer aus Tierrippenknochen konnte man zum Glätten der Oberfläche von noch nicht gebranntem Lehm und Ton ebenso benutzen wie zum Abwetzen der Hautreste von Tierfellen beim Gerben.
Knöcherner Retuscher – ein Werkzeug des Flintsteinhandwerkers (TBK)